Demiurgen in der Krise / ePub

Demiurgen in der Krise
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Demiurgen in der Krise. Architektenfiguren in der deutschsprachigen Literatur nach 1945

»Nicht nur aus Epocheninteresse sollte man ›Demiurgen in der Krise‹ zur Kenntnis nehmen, sondern auch im Hinblick auf grundlegende Themen im aktuellen Feld Literatur und Architektur.« (Anja Gerigk)

ISBN: 978-3-943999-044

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Rezensionen:
- Cord-Friedrich Berghahn: Demiurgen in der Krise, in: GRM, Bd. 65, Heft 4 (2015), pp. 534–536
- Thomas Wegmann: Sarah Pogoda: Demiurgen in der Krise, in: Scienta Poetica Bd. 19/2015, pp. 391–396
- Anja Gerigk: Wenn Halbgötter nicht (mehr) bauen, in: IASLonline [01.08.2014]

Kurzbeschreibung:
Architekten. Sie bauen Häuser, Städte, ganze Welten. Gebärden sich als Avantgarde, Größenwahnsinnige und Erlöser der obdachlosen Moderne. Längst ist die Architektur mehr als nur ein Berufsbild – sie bündelt Hoffnungen und Enttäuschungen der Menschheit und ist metaphorischer Verhandlungsort der Frage, was es eigentlich mit sich bringt, ein welterzeugendes Wesen zu sein.

Dieses Buch rekonstruiert das Motiv vom Architekten als Demiurgen von Platon bis Piranesi, von der Antike bis zur Gegenwart und stellt sich dann anlässlich der Darstellung des Architekten in der deutschen Nachkriegsliteratur von Heinrich Böll über Brigitte Reimann bis Christoph Geiser die Frage, was es bedeutet, wenn der Weltbaumeister Mensch die Lust am Bauen verliert.

»Sagt mir, was Liebe ist, was Glaube und der Hoffnung eiserner Wille – und ich will Euch sagen, was Bauen heißt: der Schöpfung siebenten Tag weitertragen um eine Welle in der Brandungskette, die liebend tändelt mit Unendlichkeit. Es gibt keinen größeren Jasager als den wahren Bauer. Alles an ihm ist Expansion, Hinausdruck – je rhythmischer, harmonischer und gesunder seine Seele pulst, desto vollendeter, unnachahmlicher wird sein Überleib sein, den er aufs Weltgesicht setzt wie einen siegreichen Stempel seines Daseins. [...] Bauen ist alles, Liebe, Zeugen, Kampf, Bewegung, Leid, Eltern und Kind, und alles Heiligsten heiligste Symbol.« (Hermann Finsterlin: 'Der achte Tag')

1920 rief der deutsche Expressionist Hermann Finsterlin mit seinem Manifest »Der achte Tag« »[d]as Jüngste Gericht des Baugottes« aus, das da kommen sollte in Gestalt der neuen göttlichen Genien, die »im Rausch der ewigen Weltenkunst« die heutige Welt erlösen würden. Jene göttlichen Genien, das waren die Architekten der Gläsernen Kette um Bruno Taut und Paul Scheerbart, gemeint war damit auch Finsterlin selbst, der sich in der Künstlergruppe den programmatischen Namen Prometheus gegeben hatte. Jene ewige Weltenkunst wiederum, das war die Architektur. Die hatte im frühen 20. Jahrhundert weit über die Gläserne Gruppe hinaus nicht nur die Rolle als »Mutter aller Künste« erlangt, sondern galt als Kunst des Weltenbaus schlechthin. Auch in der Literatur war der Architekt ein Demiurg und wurde als solcher gefeiert.

Es sind diese erhabenen und emphatischen Zuschreibungen, die den Ausgangspunkt des Buches »Demiurgen in der Krise. Architektenfiguren in der deutschsprachigen Literatur nach 1945« bilden, das die Spuren einer Faszinationsgeschichte um den Architekten nicht nur in der Literatur, sondern in Philosophie, Kultur- und Ideengeschichte nachzeichnet. Grundlegend für diese ist, dass bereits in einer der frühesten Schriften – Platons Kosmologie Timaios – der Architekt eben nicht nur ein Berufsfeld ist und die Architektur mehr als nur eine Fertigkeit oder Kunst: Architekt und Architektur sind Metaphern, um die Schöpfung der Welt ins Bild zu setzen. Platons Analogie von Schöpfergott und Architekt begründet eine bis heute virulente Schlüsselmetapher, die im sich wandelnden Bild des Architekten ein Selbstverständnis des Menschen von sich und von der Welt erfasst. Das Buch rekonstruiert diese Variationsgeschichte der Architektenmetaphorik bis in die Moderne hinein, wo der Architekt als Reaktion auf die historischen, technischen, anthropologischen, ästhetischen und sozialen Prozesse jener Zeit schließlich zum Inbegriff des selbstmächtigen schöpferischen Menschen avanciert, der sich bauend die Welt nach seinen Vorstellungen einrichtet.

Im Zentrum des Buches aber steht – unter der angeführten kulturgeschichtlichen Perspektive – die Analyse deutschsprachiger Literatur in einem markanten Zeitraum. Wie nämlich – so die zentrale Frage – agiert die Literatur mit jener Schlüsselmetaphorik auf die weltgeschichtliche Zäsur um 1945? Immerhin waren die zerbombten Städte, die zerstörten Stadtstrukturen ein demiurgischer Schauplatz schlechthin. Die Trümmerfelder Europas implizierten buchstäblich einen demiurgischen Aufbruch, riefen Architekten zur Tat. Die Architektenfiguren in der deutschsprachigen Literatur aber folgen diesem demiurgischen Auftrag der Trümmer nicht. Sie haben, wie es in Heinrich Bölls Architektenroman Billard um halb zehn (1959) lakonisch heißt: »die Lust am Bauen« verloren.

In der Literatur nach 1945 zeigt sich – diametral zur Lebenswirklichkeit – ein gründlich desillusioniertes Architekten- und Architekturbild und verweist damit auf ein radikales Umdenken des Selbstverständnisses des Menschen. Unter den historischen, sozialen und moralischen Erschütterungen verliert er als selbstmächtiger, geschichtemachender und weltbildender Demiurg seine Gültigkeit. Das Buch analysiert diesen Sonderweg der Literatur anhand von einschlägigen und prominenten Texten der Literaturgeschichte (u.a. Heinrich Böll, Stefan Heym, Brigitte Reimann) ebenso wie am Beispiel weniger bekannter oder populärer Texte (u.a. Peter de Mendelssohn, Walther von Hollander) und verfolgt die literarischen Spuren und Variationen von Architektenfiguren bis in die Gegenwart hinein (u.a. Christoph Geiser, Ernst-Wilhelm Händler). Diskutiert wird damit nicht nur eine Schlüsselmetapher der Literatur des 20. Jahrhunderts, sondern auch ein Bildbestand und dessen Bedeutungsinhalt, die bis heute die Wahrnehmung von Architekten und Architektur bestimmen – und somit unser aktuelles Bild vom Menschen präfigurieren.

Format: EPub - eBook

Typ: eBook

Seiten: 352

Erscheinungsdatum: 2013

Sprache: Deutsch

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